Innovationstag 2021: Shared Production an drei Standorten präsentiert

  • Arbeitsverteilung der Labore definiert
  • Forschung am Puls industrieller Fragestellungen
Um einen LKW zu produzieren, bedarf es guter Planung. Vor allem, wenn es um die Entwicklung einer völlig neu gedachten Fertigungslogik dafür geht. „Mit unserem Produktions-Ökosystem betreten wir die Zukunft“, erklärt Prof. Martin Ruskowski, Vorstandsvorsitzender der SmartFactoryKL (SF-KL), den angereisten Vereinsmitgliedern auf dem jährlich stattfindenden Innovationstag. „Ein technologieübergreifendes Netzwerk mit verteilten Aufgaben an verschiedenen Standorten, das ist neu.“ Definiert werden müssen Materialflüsse, Fähigkeiten (Skills) der Maschinenmodule, Kommunikationsstrukturen, Aufgaben der Handarbeitsplätze, implementierte Methoden der Künstlichen Intelligenz, Mensch-Maschine-Interaktionen usw. „Unsere LKW sind zwar aus Noppensteinen“, sagt Ruskowski, „aber der Aufwand ist produktionsseitig trotzdem hoch. Uns geht es ja nie um das Produkt, sondern immer um das WIE der Fertigung.“
Die Produktion verlässt die Fabrikhalle
Ein Unternehmer richtet seinen Blick meist auf Aufträge, die er mit seinen Maschinen und seinen Mitarbeiter:innen ausführen kann. Winkt ein besonders lukrativer Auftrag, schafft er vielleicht eine zusätzliche Maschine an. „In vielen Firmen steht diese dann oft unwirtschaftlich herum,“ erläutert Ruskowski. „Da setzen wir mit unseren Fragen an: Wie kann man diese Maschine lukrativ machen? Wie können solche Einmalanschaffungen überflüssig gemacht werden? Wie kann eine flexible Produktion aussehen?“ Die Antwort lautet Shared Production. Das bedeutet, dass jemand Drittes eine ungenutzte Maschine, bzw. ihre Fähigkeit (Skill), nutzen kann, ohne dass er die Maschine besitzt. Ein Kunde formuliert dabei seine genauen Anforderungen auf einer Online-Plattform, etwa Sägen, Löten, Montieren etc. Außerdem definiert er Parameter wie Qualität, Zeitraum der Bearbeitung, Energieverbrauch, CO2-Ausstoß usw. Aus den Anforderungen werden in Frage kommende Maschinenvorschläge mit Preisschild generiert. „Hier beginnt die Resilienz. Wenn ich verschiedene Maschinenmodule europaweit nutzen kann, dann ergeben sich völlig neue Optionen“, erklärt Ruskowski. „Dann ist es unkritisch für mich, ob meine Maschine defekt oder ausgelastet ist. Ich buche mir einfach eine neue.“
 
Resiliente Produktion

Theoretisch formuliert haben die Wissenschaftler ihre Vorstellung einer verteilten Produktion schon 2019 als Production Level 4. Doch aktuelle Ereignisse gaben den Ausschlag, die technische Umsetzung zu beschleunigen: die Corona-Pandemie, die Blockade des Suezkanals und die Einschränkungen im weltweiten Handelsverkehr durch Sanktionen. „Resiliente Produktion geistert als Schlüsselbegriff schon länger durch die Führungsetagen,“ erklärt Ruskowski. „Wir greifen dafür die selbststabilisierende Logik des Internets auf. Die Produktionskonfiguration soll so einfach wie ein Online-Marktplatz funktionieren.“ Eine sichere Plattform dafür könnte Gaia-X sein.

Denken in neuen Dimensionen
Bei der Shared Production rund um die SF-KL werden aktuell die Aufgaben der drei Standorte definiert, die gemeinsam den individuell konfigurierbaren LKW produzieren sollen. Dem Labor am Lehrstuhl Werkzeugmaschinen und Steuerungen (WSKL) der TU Kaiserslautern fällt die Rolle einer Auftragsfertigung zu, die Anhängeraufbauten in Tankform fräst. Die Besonderheit: alle drei Maschinen vor Ort verfügen über den Skill „Fräsen“, sind aber unterschiedlich alt und bieten verschiedene Qualitäten an. „Genau das ist realitätsnah,“ sagt Ruskowski zu den Besuchern während des Rundganges. „Auf dem Online-Marktplatz sind die Qualitäten dann entsprechend unterschiedlich teuer. Wir könnten die älteste Maschine z.B. günstig anbieten, weil sie nicht mehr so genau arbeitet. Aber für einen bestimmten Kunden wäre genau das vielleicht völlig ausreichend.“ In Zukunft handeln die Skills als autonome Agenten (Multiagentensystem) und stimmen sich untereinander darüber ab, wer das Produkt anhand der Kundenanforderungen optimal fertigen kann. „Daran forschen wir gerade im Projekt MAS4AI. Es gibt aber noch viele weitere Fragen“, so Ruskowski, „die wir im Gaia-X-Forschungsprojekt smartMA-X behandeln. Zum Beispiel: Wie wird ein Skill Teil von Gaia-X? Oder: Wie wird eine maschinelle Vertragsverhandlung – auch über Ländergrenzen hinweg – rechtssicher?“
 
Routinen machen Menschen stumpf
Bereits vor 15 Jahren stellte Toyota fest, dass mit zunehmender Automatisierung Wissen bei den Fachkräften in der Produktion verlorenging. Der Grund war einfach: „Es gab zunehmend weniger Gelegenheiten für sie, ihre Fähigkeiten und Ideen einzubringen“, sagt Kawai. Eine ähnliche Erfahrung haben die KI-Trainer in der SmartFactoryKL gemacht. „Langweilige Arbeiten schaffen abgestumpfte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“, sagt Ruskowski. Er erinnert sich an ein KI-Projekt mit der Helmut Meeth GmbH & Co. KG. Bisher hatten dort Angestellte die Qualitätskontrolle von Glasscheiben per Inaugenscheinnahme durchgeführt. „Die waren alle ziemlich dankbar, dass wir das automatisieren konnten,“ erzählt Ruskowski. „Der Projektverantwortliche war froh, die Kolleginnen und Kollegen nun für höherwertige Aufgaben einsetzen zu können.“
 
Mensch und Maschine sind das perfekte Team
„Mensch, Maschine, Software, so könnte man die Welt nennen, die wir derzeit entwickeln“, sagt Ruskowski. „Wir nehmen das Beste und kombinieren es neu. IT, OT und Mitarbeiter:innen bilden eine Produktionseinheit, in der der Mensch der Souverän ist und bleibt.“ Auch Mitsuru Kawai denkt in diese Richtung: „Wir setzen bei der weiteren Entwicklung unseres Unternehmens nicht auf Software oder Roboter, sondern immer nur auf unsere Mitarbeiter – auf ihre Fähigkeiten und guten Ideen.“ Natürlich wird Toyota weiter automatisieren. Aber, fragt Mitsuru Kawai, seien Roboter nicht dazu da, dem Menschen zu helfen? Niemals sei die Automatisierung selbst das Ziel. „Wir müssen immer wieder den Mut haben, Dinge neu anzugehen. Dabei dürfen wir auch Fehler machen“, so Ruskowski. „Als Wissenschaftler argumentieren wir immer wieder mit Fakten gegen Vorurteile: Nein, KI wird uns nicht beherrschen, denn es liegt an uns, wie wir unsere Umwelt gestalten. Nein, Automatisierung führt nicht zu Arbeitsplatzabbau, dass zeigen die Zahlen der vergangenen Jahre eindeutig. Ja, Mensch und Maschine sind ein tolles Team, mit dem Menschen als Chef.“
 
Umdenken auf vielen Ebenen der Produktion
Methoden der Künstlichen Intelligenz, wie bspw. Knowledge Graphen, versuchen sich der Denkweise des Menschen anzupassen, um bessere Ergebnisse zu liefern. Der Einsatz von KI bietet viele neue Möglichkeiten, wie die Optimierung der Interaktion zwischen Werker:in und Maschine. „Zukünftig passen wir die Maschine dem Menschen an, nicht umgekehrt. Maschinenbedienung funktioniert irgendwann so simpel wie ein Smartphone,“ betont Ruskowski. „Wir rücken die Mitarbeiter:innen mit ihren einmaligen Fähigkeiten ins Zentrum unserer Betrachtungen.“ Die Implementierung von Handarbeitsplätzen in die Production Level 4 – Demonstratorlandschaft hat auch die Inklusion im Blick. Lichter oder Piktogramme leiten durch Produktionsprozesse, ohne dass aufwändiges Anlernen oder Sprachkenntnisse nötig sind.
 

Bilder: smartfactory.de/downloads/

Film: www.youtube.com/watch

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